Bevölkerungsschutz für alle: Selbst- und Fremdhilfe bei besonderen Einsatzlagen | 20. Fachtagung Führen von Einsatzkräften des Münchner Roten Kreuzes
Mehr als 300 Führungskräfte der Hilfsorganisationen kamen heute ins Klinikum Großhadern zur Fachtagung „Führen von Einsatzkräften“ des Münchner Roten Kreuzes. Zum Rahmenthema „Bevölkerungsschutz für alle: Selbst- und Fremdhilfe bei besonderen Einsatzlagen“ gaben kompetente Referent*innen aus verschiedenen Perspektiven Impulse.
Los ging es mit Forschungsergebnissen zu besonders Hilfsbedürftigen in Katastrophen. Wie berücksichtige ich im Einsatz die Bedürfnisse von Demenzkranken, Senior*innen oder Pflegebedürftigen? Heidi Oschmiansky sprach über das Forschungsprojekt KOPHIS, Paul Geoerg direkt im Anschluss über Erkenntnisse und bauliche und organisatorische Besonderheiten, die sich bei Evakuierungsübungen in Wohngruppen, Heimen und Werkstätten ergeben haben. Wo hängt nochmal die Evakuierungshilfe? Wie wirken sich Gehhilfen bei der Räumung von Gebäuden aus? Wie müssen Gebäude künftig gestaltet werden, um besonders Hilfsbedürftigen im Gefahrenfall gerecht zu werden?
Die Warnung der Bevölkerung vor Gefahren war schon immer ein wichtiges Thema im Bevölkerungsschutz. Welche Veränderungen und Chancen sich dabei durch die Digitalisierung ergeben, stellte Hendrik Roggendorf vor. Dabei ging er auch auf den Inhalt von Warnmeldungen und auf Verhaltenshinweise ein, die für die Selbsthilfe der Bevölkerung wichtig sein können. Technisch ging es neben den klassischen Warnwegen und –medien auch um Warn-Apps wie NINA und Katwarn, digitale Radios, Werbetafeln der Städtereklame und Navigationsgeräte.
Julian Kerth stellte anschließend die Ergebnisse seiner Studie zur Selbsthilfefähigkeit von Einsatzkräften vor. Gerade bei großflächigen und länger andauernden Einsätzen und Schadenslagen werden die Helfer*innen schnell selbst zu Betroffenen. Ergebnisse seiner Umfrage: Die Helfer*innen sind privat im Durchschnitt nur etwas besser auf Katastrophen vorbereitet als die Bevölkerung generell. Als Konsequenz forderte Kerth eine stärkere Verankerung des Themas persönliche Notfallvorsorge in der Ausbildung der Helfer*innen und Führungskräfte in den Hilfsorganisationen. Diese könnten dann wiederum als Multiplikator*innen in ihrem persönlichen Umfeld wirken.
Über die Lelex-Übung (Akronym für lebensbedrohliche Einsatzlagen“) im April 2018 am Münchner Hauptbahnhof berichteten Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä und Oberbranddirektor Wolfgang Schäuble. Fazit der Polizei: Einsatzkonzepte müssen zwingend geübt werden, auf besondere Einsatzlagen muss sofort auch ohne Spezialkräfte reagiert werden und die Kommunikation und Abstimmung der beteiligten Organisationen ist ein Schlüssel zum Einsatzerfolg. Aus Sicht der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr ist vor allem das gegenseitige Verständnis für die Belange der jeweils anderen Organisation entscheidend und ein schneller Abtransport der Patienten aus dem für den Rettungsdienst sicheren Bereich. Beide Organisationen haben im Nachgang konkrete Veränderungen angestoßen, um auch im Hinblick auf die Fußball-Europameisterschaft 2020 für besondere Einsatzlagen vorbereitet zu sein.
Nahid Derakshani sprach über biologische Gefahren und ihre Auswirkungen auf den Bevölkerungsschutz. Sie stellte die Historie biologischer Waffen und ihrer internationalen Ächtung vor. Der Einsatz biologischer Waffen erfolgt heute überwiegend durch Terroristen und Einzeltäter, die in der Regel über geringe Mengen der Kampfstoffe und geringe Kenntnisse zu deren Verwendung verfügen. Derakshani stellte mögliche Anschlagsszenarien vor sowie die Strukturen und Fähigkeiten der Analytischen Taskforce im Bereich biologischer Gefahren.
Den Abschluss der Tagung bildete der Einsatzbericht zum Raffineriebrand in Vohburg Anfang September 2018 mit 24 Verletzten. Es herrschte gebannte Stille im Saal, als Werner Hammerschmid, Rainer Kimmel und Thomas Schwarzmeier vom Roten Kreuz in Pfaffenhofen die Entwicklung des Einsatzes anhand von Fakten und vor allem sehr anschaulichen Ton- und Videoaufnahmen darstellten. Insgesamt waren etwa 1.000 Einsatzkräfte mit fast 300 Fahrzeugen am Einsatz beteiligt. Eine wesentliche Herausforderung bestand in der lange Zeit unklare Lage und Entwicklung des Einsatzes und damit verbunden die Planung mehrerer Szenarien und Alternativen, etwa zur Evakuierung benachbarter Ortschaften. Die Referenten gingen auf die Führungs- und Kommunikationsstrukturen, das Medieninteresse, die Warnung der Bevölkerung und die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen ein. Eine wichtige Rolle spielte zudem die Leistung und die besondere Betroffenheit der Werkfeuerwehr Bayernoil. Alle hoben den Stellenwert von persönlichen Kontakten unter den Führungskräften, guter Vorbereitung und Übung und guter Raumordnung hervor.
Die Fachtagung dient der Fortbildung von beruflichen und ehrenamtlichen Führungskräften der Hilfsorganisationen aus ganz Bayern. Die Veranstaltung wird von einem ehrenamtlichen Team des Münchner Roten Kreuzes organisiert. Was 1999 als interne Führungskräftefortbildung begann, findet 2018 zum 20. Mal und mit deutlich überregionaler Teilnehmerschaft statt. Dadurch gewinnen auch der Vernetzungsaspekt und die begleitende Fachausstellung immer mehr an Bedeutung. „Ich freue mich sehr, dass wir die Fachtagung als Fortbildungs- und Austauschformat so erfolgreich etablieren konnten“, sagt Julian Kerth, stellvertretender Vorsitzender des Münchner Roten Kreuzes. „Die Veranstaltung lebt vom ehrenamtlichen Organisationsteam um Volker Ruland, das immer wieder den thematischen und organisatorischen Rahmen schafft. Und sie lebt von den kompetenten Referent*innen, die aus ganz Deutschland kommen und aus erster Hand wertvolle Impulse für die tägliche Arbeit im Bevölkerungsschutz geben.“
Der Betreuungsdienst stellte die Versorgung der Teilnehmer*innen sicher.